Sag beim Abschied – und vor allem leise – Servus

Am Ende kommt der Abschied doch schnell. Die vielen Titel, die unglaubliche Torquote, die einstmals so hohe Ablösesumme, sie alle sind plötzlich vergessen, wirken bereits wie zwei alte, wenig überraschende Absätze in der an Rekorden nicht armen Vereinschronik. Es gibt kein Abschiedsspiel, lediglich einen lautlosen Abgang in der Saisonvorbereitung. Einer der besten Torjäger Bayern Münchens verlässt den Verein. Unspektakulär angesichts der prominenten Neuverpflichtungen, wie ein Fremdkörper in der fiebrigen Erwartung der neuen Saison, nur ein Name in der Liste „Abgänge“ des Kicker Sonderheftes zum Bundesligastart. Im Sommer 2007 verlässt Roy Makaay den FC Bayern München.

Die Parallelen zu heute sind unverkennbar. So wie der Niederländer damals ohne großen Abschied München den Rücken kehrte, verabschiedete sich auch Mario Gomez vom Verein. Gomez und Makaay sind mehr als bemerkenswerte Einzelfälle. Giovane Elber (ging als Roy Makaay kam) und Miroslav Klose (ging als Gomez kam) sind zwei weitere Beispiele für Stürmer, die trotz ihrer Erfolge still und leise verschwanden.*

Über allen thront der erfolgreichste FCB-Stürmer aller Zeiten. 398 Pflichtspieltore in 453 Spielen bewahrten Gerd Müller im Jahr 1979 nicht davor, vom Verein in unwürdiger Art und Weise verabschiedet  zu werden. Eine falsch behandelte Oberschenkelverletzung hätte ihn fast zum Invaliden gemacht, bei Trainer Pal Csernai stand er nicht hoch im Kurs. Um seine Freigabe ohne Ablösesumme an den US-Klub Fort Lauderdale Strikers musste er betteln, die Einwilligung von Präsident Neudecker bekam Müller in einem Hinterzimmer bei einer Sportmesse. Sein Vorgesetzter prahlte vor den Journalisten („Seht mal wie schnell das geht, wenn Männer miteinander reden. Ohne Juristen.“) Gerd Müller sagte nichts. Eine bemerkenswerte Dokumentation zeichnet seinen Abschied bei Bayern ausführlich nach.

Müller, Elber, Makaay und jetzt Gomez. Alle waren sie für den FC Bayern München sehr erfolgreich. Keiner von ihnen blieb titellos. Doch alle wurden nicht durch das viel beschworene „große Tor“ verabschiedet. Eher durch die stille Hintertür. Woran liegt das?

Eine mögliche Antwort könnte ihre Spielposition sein. Wie Torhüter sind auch Stürmer exponiert, ihnen kommt eine besondere Rolle zu. Die Währung ihres Erfolgs sind nicht gewonnene Dribblings oder antizipierte Pässe, sondern das wichtigste im Fußball: Tore. Ihr Erfolg wird dadurch vermeintlich messbar, viel besser als das beispielsweise bei einem defensiven Mittelfeldspieler der Fall ist. Auch dessen Leistung kann anhand von Zweikampfwerten und Laufstrecken eingeordnet werden. Doch während man sich beim einen tief in Statistiken einlesen muss, liegt das Arbeitszeugnis des anderen vermeintlich offen sichtbar für alle da. Tore und Gegentore reduzieren Stürmer und Torhüter im Fußball auf einige wenige Zahlen. Die Kraft dieser Zahlen wirkt länger als die 90 Minuten auf dem Platz. Es ist keine Ausnahme, dass Stürmer nach drei Abstaubertoren und mittelmäßiger Leistung zum Spieler des Spiels erkoren werden. Für die Feinheiten in der Bewertung ihres Spiels fehlt Medien und Publikum oft das Auge, manchmal auch nur die Zeit.

Gemessen an Toren zeigte die Leistungskurve bei den Genannten in der letzten Saison für Bayern München nach unten. Aber: Auch das nur, wenn man von Gesamtzahlen und nicht der Torquote pro Spiel ausgeht. Und bei allen ist es eben jene ausgezeichnete Torquote, die den stillen Abschied vom Verein so schwierig zu verstehen macht. Gleichzeitig fällt auf, dass es vor allem Mittelstürmer sind, die beim FC Bayern in hoher Fluktuation wechseln.

Vielleicht liegt es also an ihrer Spielposition, begründet sich aber nicht in der Reduzierung ihrer Leistung auf Zahlen? Denn der FC Bayern war immer schon ein Ballbesitzverein. An Torchancen mangelt es auch in spielerisch schlechten Zeiten nicht. Es ist kaum ein Spiel denkbar, in dem der FCB nicht wenigstens eine handvoll Möglichkeiten hat, einen Treffer zu erzielen. Offensive Probleme werden demnach nicht an der Entstehung von Chancen sondern an ihrer Verwertung festgemacht. Womit diejenigen in den Mittelpunkt des Interesses rücken, deren hauptsächliche Aufgabe es ist, diese Chancen zu Toren umzuwandeln. Schießt der FC Bayern zu wenig Tore, zeigen die Finger in den Strafraum, dem Biotop der Mittelstürmer. Dabei reicht es für ein schlechtes Gesamturteil schon, nur in wenigen entscheidenden Spielen das Tor nicht zu treffen. Für diese Erkenntnis muss man lediglich Uli Hoeneß fragen, warum es an 19.05.2012 nicht zum Champions League Sieg gereicht hat.

Hinzu kommt, dass sich kaum eine Spielposition in den letzten Jahren so verändert hat wie die des Mittelstürmers. Am deutlichsten sichtbar daran, dass es diese Position in der spielerischen Perfektion gar nicht mehr gibt, die sich FC Barcelona nennt und die gemeinhin als Vorbild für den Weltfußball gesehen wird. Um die taktische Transformation des Mittelstürmers nachverfolgen zu können, reicht schon ein Blick auf die unterschiedlichen Spielstile, die in den Namen Elber, Makaay, Klose und Gomez verkörpert sind.

Es liegt auch an der Spielphilosophie des FC Bayern, dass ihr Mittelstürmer weite Teile des Spiels scheinbar unbeteiligt daran vorbeiläuft. Das bayerntypische Spiel über die Flügel umgeht den Stürmer meist im Spielaufbau, reduziert sein Aufgabengebiet auf die einfache Formel: Sei da, wenn der Ball in den Strafraum gespielt wird. Dieser Spielstil hat sich erst schrittweise gewandelt, bis er durch etwas ersetzt wurde, das dem aktuellen Stürmer Gomez weniger zugetraut wird als etwa einem Mario Mandzukic oder Robert Lewandowski. Im Jahr 2013 steht in vorderster Linie ein Hybrid für den FC Bayern auf dem Feld, dessen Rolle je nach Gegner und Spielstand zwischen Manndecker, Spielmacher und Schnittstellenöffner changiert. Um zu verstehen, wie bedeutend diese taktische Entwicklung in Bezug auf die Spielphilosophie des FC Bayern ist, reicht ein Blick zurück auf die Saison 2007/2008, als Ottmar Hitzfeld für Luca Toni den Begriff „Wandspieler“ einführte. Bei anderen Vereinen schon längst Usus, war der in den Spielaufbau eingebundene Mittelstürmer für Bayernverhältnisse so revolutionär, dass er sogar eine eigene Bezeichnung bekam. Luca Tonis Aufgabe war im übrigen nicht, mit klugen Diagonalbällen Übergewichte zu schaffen oder Lücken zwischen Innen- und Außenverteidiger zu provozieren, sondern schlicht und einfach mit dem Rücken zum Tor den Ball zum Passgeber zurückprallen zu lassen. Der Einwand, dass schon Jürgen Klinsmann derart mit Pässen in seine Richtung umging, ist aus humoristischer Sicht durchaus berechtigt.

Um zurück zum Punkt zu kommen: Da das Bayernspiel lange Zeit ohne wesentliche Spielbeteiligung des Mittelstürmers stattfand, hatten diese schon immer einen schweren Stand. Trafen zu wenige Ballkontakte auf zu viele vergebene Torchancen, war bei fehlendem Erfolg der Buhmann schnell gefunden. Meist schlich er im Korridor vor dem Strafraum herum, gerne auch mal im Abseits.

Hinzu kommt ein Aspekt, der in seiner Banalität den Stempel „Phrasenschwein“ trägt: Im Fußball ist nicht so unbedeutend wie die Vergangenheit. Titel werden am aktuellen Spieltag gewonnen und nicht in der vergangenen Saison. Wirtschaftlich geht der Blick immer nach vorne – wer sich an gute Statistiken in der Vergangenheit erinnert, gilt als realitätsferner Nostalgiker. Auch das gehört zur Beurteilung von Mittelstürmern: Ihre vergangenheitsbezogen Quoten unterliegen angesichts ihres aktuellen Trefferkontos.

Taktische Veränderungen, Spielphilosophie und fehlende Nostalgie. Reicht das schon um zu erklären, warum es gerade die Stürmer sind, die bei Bayern oft schnell und möglichst geräuschlos ausgetauscht werden?

Vielleicht ist es auch ein Fehler, die Namen Müller, Elber, Makaay, Klose und Gomez nicht nur in eine Reihe zu stellen, sondern gleich in einen Topf zu schmeißen. Jeder Abgang vom FCB erzählt seine eigene Geschichte. Man kann es übertrieben finden, in ihnen Symptome für ein übergeordnetes Phänomen zu sehen. Mindestens bemerkenswert ist es aber schon, wie schwer sich der FC Bayern damit tut, seine ehemals gefeierten und bei großen Teilen der Fans immer noch beliebten Mittelstürmer angemessen zu verabschieden. Es scheint, als würde das „große Tor“ zum Abschied nur für jene geöffnet, die neben dem Platz ihre Arbeit für den Verein leisten (Hitzfeld, Heynckes). Für die Spieler – und unter ihnen vor allem die Stürmer – bleibt nur der versteckte Hinterausgang.

Einen letzten, wiederum sehr profanen, Grund dafür mag es noch geben. Wenn ein neuer Stürmer durch das große Tor hinein will, ist für Gegenverkehr kein Platz. Und durch das kleine Türchen ist noch kein Spitzenstürmer zum FC Bayern gekommen.

* Evtl. kann man in dieser Reihe noch Roland Wohlfahrth nennen – ich meine mich vage erinnern zu können, in einer Bayernchronik von einem unspektakulären und ob der guten Statistiken unwürdigem Abgang gelesen zu haben. Ließ sich nachträglich durch Recherche im Netz aber nicht bestätigen. Vielleicht hat jemand von euch Erinnerungen daran?