Fußball und Social Media

Diesen Montag fand eine sehr interessantere Ausgabe des Digitalen Quartetts statt, die vor allem schmackhaft besetzt war. Marcell Jansen (HSV-Profi), Jörn Wolf (HSV-Mediendirektor), Kai Pahl (@dogfood, Allesaussersport.de), David Nienhaus (@ruhrpoet, Sportredakteur bei der Waz-Gruppe) diskutierten mit den Gastgebern Thomas Knüwer, Daniel Fiene und einem sich später dazu schaltenden Richard Gutjahr das Thema „Fußball und Social Media“.

Ich konnte die Runde nicht live verfolgen, da ich erst hinter dem Lenkrad auf der Autobahn zwischen Stuttgart und München und anschließend vor dem Bildschirm mit der Übertragung Bayern – Rehden saß. Allerdings ist der Mitschnitt der Sendung auch im Nachhinein (ohne die dazu gehörende Live-Twitterdebatte) interessant.

Da ich privat und beruflich schon lange mit dem Thema zu tun habe, komme ich um ein paar Anmerkungen zur Sendung nicht herum.

Der wahre Hans Sarpei

Inhaltlich herausragend war für mich vor allem Marcell Jansen. Wer ihn bei Facebook und Instagram verfolgt, wusste schon länger, wie authentisch und dadurch sympathisch er seine Kanäle befüllt. Jedes seiner Worte im Hangout zeigt aber noch eindrucksvoller, dass er Social Media verstanden hat. Offensichtlich postet er nicht unwillkürlich in einer authentischen Art und Weise, sondern bewusst.

In einer Passage berichtet er davon, sich oft zu fragen, was ihn als Fan interessiert hätte und was er als Profi via Social Media für Einblicke hinter die Kulissen geben könne – so banal diese Feststellung sein mag, in ihr steckt der Kern dessen, was seine Social-Media-Auftritte von circa 90 Prozent derjenigen seiner Kollegen unterscheidet. Er begegnet den Fans auf Augenhöhe. Interessant in diesem Zusammenhang auch sein Loblied auf die Videofunktion von Instagram. Kurz: In dieser einen Stunde habe ich von Marcell Jansen mehr inhaltlich stimmige Aussagen über Social Media gehört, als von so manch anderem gefeierten „Profi 2.0“.

#kommunikationsherrschaft

Etwas oberflächlich blieb leider die Diskussion über neue Kommunikationsformen und ihre Auswirkungen vor allem auf das Verhältnis von Spielern und Verein. In Deutschland fehlen dafür die (negativen) Präzedenzfälle (Hummels‘ „kritische“ Facebookpostings lasse ich da nicht zählen), weshalb der Ruf nach Vorgaben der Vereine an ihre Profis noch nicht allzu laut wurde. Ein Blick über den Kanal hätte aber gereicht, in der Diskussion hier einen Schritt weiterzugehen und zu erahnen, dass auch auf die Bundesligavereine hier noch Arbeit zukommen dürfte.

Die twitternden Sportskameraden Joey Barton, Rio Ferdinand und wie sie alle heißen, zeigen immer wieder, wie problematisch es sein kann, wenn ein Spieler zum Pressesprecher seiner selbst und gleichzeitig aber auch als Mitglied eines Vereins wahrgenommen wird. Letztlich zwang das die Premier League selbst zum Handeln, es führte zu Vorschriften und Verboten in der Nutzung von Social Media. Es wäre interessant gewesen, an dieser Stelle mit Jörn Wolf vom HSV über Sinn und Unsinn solcher Maßnahmen zu reden. Und was die Vereine dafür tun, die Medienkompetenz ihrer Spieler zu fördern.

Das Schweigen der Profis

Mit Marcell Jansen und Jörn Wolf saßen zwei so ausgeprägte Social-Media-Freunde in der Diskussionsrunde, dass ein Aspekt etwas unterging: sie sind die Ausnahme. In der breiten Masse haben die Profifußballer in Deutschland Social Media noch nicht für sich entdeckt. Ein Gros der Facebookseiten wird ganz offensichtlich von Agenturen betreut, Twitter ist (deutschlandtypisch) ein Platz für jene, die es wirklich wissen wollen.

Einzig Instagram erfreut sich unter den Fußballern immer größerer Beliebtheit, hier kommen wöchentlich neue Sportler hinzu.* Es wäre spannend gewesen, auch das mit dem in der Runde sitzenden Profi zu erörtern. Er kann abschätzen, warum seine Kollegen keine Lust auf den direkten Austausch mit den Fans haben oder ihnen die Zeit dafür fehlt. Gleichzeitig fällt meiner Meinung nach hier der Blick auf eines der wichtigsten Themen im Bereich Social Media und Fußball überhaupt:

Agenturen – die persönlichen Pressesprecher der Profis

Ein Sportler wie Marcell Jansen, der seine Seite selbst pflegt, ist die Ausnahme. Die Regel sind von Agenturen geführte Seiten, die so von Externen betreut werden, wie es früher bei Homepages der Fall war. Das Spektrum ist dabei breit und geht von Profis, die mit ihrer Agentur telefonieren und dann in „Ich-Form“ posten lassen , zu Beiträgen, die fast pflichtschuldig vom Profi (so ist zumindest zu hoffen) verfasst und gepostet werden, bis hin zu Facebookseiten, die zur Hälfte aus gekauften Beiträgen der persönlichen Sponsoren bestehen. Was unter dem Strich zu einer Situation führt, die den Vereinen nicht gefallen kann. Im wichtigen Bereich der Informationsweitergabe, der Präsentation von Teamsponsoren, Neuverpflichtungen und Hintergrundinformationen sitzt ein weiterer Mitspieler am Tisch, gewissermaßen der „Spielerberater fürs Netz“. Eine Situation, die spätestens dann haarig wird, wenn die Reichweite des Einzelsportlers die des Vereins übersteigt. Was kein unrealistisches Szenario ist, da Profifußballer ein Fanpotenzial haben, das in die Regionen von Popstars geht. Dafür muss man sich nur mal die Kommentare unter Bildern der Herren Neuer, Götze, Reus & Co. genehmigen.

Ich habe diesen Konflikt vor ein paar Jahren auf der re:publica bereits angesprochen, inzwischen ist er meiner Meinung nach noch offensichtlicher geworden. Die Vereine müssen sich mindestens der Gefahr bewusst sein, die darin besteht, dass ihre Angestellten über privat gepflegte Kanäle verfügen, die eine mindestens ebenso hohe Reichweite und Sichtbarkeit haben, wie jene des Vereins selbst. Kurzfristig ist es mindestens problematisch, wenn ein Spieler dort losgelöst von Vereinsinteressen agieren kann, langfristig könnte es wirtschaftliche Implikationen haben. Lohnt es sich für Sponsoren wirklich noch, viel Geld für ein Teamsponsoring zu investieren, wenn auf den wesentlich reichweitenstärkeren Privatseiten der zum Team gehörenden Profis in sämtlichen sorgfältig ausgewählten Bildern nur der Konkurrent auftaucht? Meiner Einschätzung nach vergrößert sich hier im Moment die Bedeutung persönlicher Sponsoren zu ungunsten von Vereinsponsoren. Vielleicht nicht innerhalb der Top 20 der Fußballvereine Europas, bei Fußballvereinen mit einer geringeren Reichweite allerdings spürbar.

Blogs und Vereine

Wie stehen Fußballvereine den Blogs ihrer eigenen Fans gegenüber? Diese höchst spannende Frage wurde ebenfalls kurz angerissen. Die Antwort des sehr Social Media affinen Jörn Wolf war meiner Meinung nach dabei bezeichnend. Als Beispiel für ein relevantes Blog nannte er mit „Matz ab“ das journalistische Nebenprodukt einer Zeitung und bezeichnete die Vereinsblogs als eine aktuelle Entwicklung. Dass es gerade zum HSV ausgezeichnete Vereinsblogs gibt, die bereits seit mehreren Jahren aktiv sind, weiß er entweder nicht, oder hielt es nicht für erwähnenswert.

Blogs von Vereinen

Interessant war in diesem Zusammenhang allerdings, als er von Überlegungen berichtete, selbst ein Blog für den HSV zu starten. Das war Anlass für Kai Pahl (der mir insgesamt etwas wenig zu Wort kam), einige Beispiele aus den USA zu nennen, wo nicht nur der Umgang mit Vereinsbloggern und eigenen offiziellen Blogs ein ganz anderer ist. Kai nannte in diesem Zusammenhang sehr wertvolle Beispiele. Denn wer wissen will, wie sich in zwei Jahren die Kommunikationsstruktur zwischen Medien, Presse, Sponsoren, Fans und Sportlern verschieben könnte, muss nur einmal über den großen Teich blicken und ein bisschen Gigantismus und Franchise-Mentalität abziehen.

Im eins gegen eins mit Trollen

Ein Thema darf nicht fehlen, wenn es in Deutschland um das Internet geht: Kommentarkultur, beziehungsweise ihr Fehlen. Auch das digitale Quartett kommt ohne Begriffe wie „Shitstorm“ nicht aus, Marcell Jansen nimmt negative Kommentare der eigenen Aussage nach auch locker. Das Moderieren seiner Seite übernimmt er – mindestens in Ansätzen – übrigens selbst.

Da ich nun schon jahrelang Kommentare moderieren und mehrere Social Media-Kanäle mit hoher Reichweite betreuen durfte, ist mir diese Kommentardebatte immer sehr wichtig. Denn meiner Meinung nach ergeben sich die meisten derjenigen, die sie so gerne führen, zu schnell ihrem Schicksal und kapitulieren vor dem ach so bösen Internet mit all seinen gemeinen und dummen Trollen.

Hier kommt mir ein Aspekt zu kurz. Ja, lässt man die Leser kommentieren wie sie wollen, dann ist das Niveau meist knapp unter der Erdkruste angesiedelt. Doch hier kommt das große Aber: Wer sich den finanziellen, zeitlichen und nervlichen Aufwand leistet, sichtbar (! – ich rede nicht davon, einfach zu löschen) zu moderieren und mitzudiskutieren, der wird sehr schnell eine Verbesserung der Kommentarkultur feststellen. So habe ich es bisher überall dort erlebt, wo ich mich aktiv in Diskussionen eingeschaltet habe. Natürlich ist es in Sonderfällen nicht zu leisten, jeden Kommentarstrang zu moderieren. Aber nur weil gefühlte 99 Prozent der Medien, Vereine und Sportler komplett darauf verzichten, eine Netiquette anzukündigen und umzusetzen, möchte ich keine Klagen mehr über schlimme Kommentare hören. Das ist, als würde man mit dem abgedrehten Feuerwehrschlauch neben einem brennenden Haus stehen und sich über die unerträgliche Hitze beschweren. Community Management hört nicht beim Posten auf.

* Tipp: Hier lohnt vor allem ein Blick zum Frauenfußball. Erstaunlich, was Nationalspielerinnen hier posten können, ohne dass der Boulevard darauf anspringt.