Wie Social Media die Medien zu Telefonistinnen des 21. Jahrhunderts macht

Das Großartige an Serien wie „Mad Men“ ist ihre Kulisse. Überall wird geraucht und getrunken, die Männer tragen Hüte, die Frauen kunstvolle Frisuren. Und wenn es schnell gehen muss, schickt man sich Telegramme. Wir aus dem 21. Jahrhundert blicken auf diese Simulation der 1960er Jahre und wundern uns, wie das damals alles schon so funktionieren konnte, so ganz ohne Internet für jeden immer und überall. Sinnbild dafür wie weit entfernt diese Zeit zu liegen scheint, sind die Telefonistinnen im Büro der Werbeagentur „Sterling Cooper“: In den 60ern kam ohne sie jede Kommunikation zum Erliegen – heute gibt es den kompletten Berufsstand nicht mehr.

Warum waren sie damals so wichtig? Sie stellten Kommunikation her, verbanden die Gesprächspartner eines Telefonats miteinander. Der in Deutschland geläufige Begriff „Fräulein vom Amt“ überspielt in seiner Verniedlichung, welche Macht in dieser Funktion lag. Verlässt man den Bereich der privaten Kommunikation zwischen Einzelnen und widmet sich der öffentlichen, sieht man die Medien in einer vergleichbaren Position. Als Plattform der Masseninformation nehmen sie eine viel beschworene Gatekeeper-Position in der Gesellschaft ein. Wer mit seinem „Anruf“ eine breite Masse erreichen möchte, ist auf die Medien angewiesen. Öffentliche Diskurse finden im Großen nur dort statt.

An diesem Punkt zeigt sich einer der vielen disruptiven Aspekte, die soziale Netzwerke auf unsere heutige Kommunikationsstruktur haben. Die Medien haben ihr Monopol für die Erreichbarkeit der Massen verloren. Durch das Internet im Generellen (v.a. Blogs und themenspezifische Foren) und soziale Netzwerke im Speziellen haben sich neue Plattformen für öffentliche Kommunikation etabliert. Die Medien sind als Vermittler zwischen Absender und Empfänger einer Botschaft überflüssig geworden.

Ein aktuelles Beispiel aus dem Sportbereich verdeutlicht das: Vor einigen Tagen spülte das Internet ein Video hervor, das Bastian Schweinsteiger beim Anstimmen eines Schmähgesangs gegen den Ligakonkurrenten Borussia Dortmund zeigt. Ein fast schon aufreizend zufälliger Zufall, wenn man sich Situation der Sportberichterstattung zum Zeitpunkt des Auftauchens betrachtet. Die sich in Mediennutzung ausdrückende Begeisterung für den Weltmeistertitel langsam verebbt, die Bundesligavorbereitung durch das Fehlen der WM-„Stars“ nur für eine eingegrenzte Zielgruppe interessant. Ja, nicht einmal der Dauer“konflikt“ der sportlichen Rivalen und klickstärksten Vereine BVB und FCB führte zu Themen, da ihre deutsche WM-Teilnehmer nach dem Titel öffentlich allerortens die Harmonie zwischen sich gelobt hatten. Selbst der Versuch, die Rivalität wieder anzuspitzen, verebbte in den Teamgeistzitaten der Weltmeister fast ungehört – siehe das angebliche Bayern-Boss-Veto gegen einen Kauf des BVB-Spielers Reus. Und das alles in einem vom Fußball-WM-Überdruss zusätzlich ausgedörrten Sommerloch, herrje. Viel Spekulation steckt in der Vermutung also nicht mehr, dass man sich in den Redaktionen wirklich gefreut haben wird über dieses mit dem Video mysteriös ins Spiel geworfene Berichterstattungsobjekt. Das „Schweinigate“ tippt sich da schon von selbst.

Wie wäre dieses Thema noch vor einigen Jahren öffentlich diskutiert worden? Einer ersten Empörungswelle wären im Abstand von Tagen Stimmen beteiligter Protagonisten gefolgt, irgendwann hätte Schweinsteiger eine Entschuldigung in den Medien platziert, Prominente mit und vor allem ohne Fußballsachverstand hätten ihn in Schutz nehmen oder anklagen dürfen und – machen wir uns nichts vor, es ist eben Sommerloch – irgendwann wäre die Frage an den Bundestrainer herangetragen worden: „Herr Löw, wie sollen wir so Europameister werden?“ Alles in allem: Für einige Tage, vielleicht sogar eine Woche hätte uns die Berichterstattung über Schweinsteigers Schmähgesang begleitet.

Und jetzt sehen wir uns mal an, wie sich die Sache heute mit Stimmen der wichtigsten Protagonisten innerhalb weniger Stunden auflöste:
schweinigate2

Die Beteiligten haben selbst gehandelt, und – viel, viel schlimmer aus Sicht der Medien – schon von alleine all jene erreicht, die sich für das Thema interessieren. Übrig bleibt für die Medien nur noch, über diese Postings zu berichten und damit jene zu informieren, denen das Thema eigentlich eh egal war oder die sich nicht im Internet bewegen. Aus dem vermeintlichen Aufreger wird durch drei Postings innerhalb von 12 Stunden die Luft gelassen.

Im übrigen ist obiges Beispiel kein Einzelfall. Nehmen wir nur den größten Skandal der WM 2014 (mal abgesehen von den Rekordeinnahmen der FIFA angesichts der Ausgaben, die das Land Brasilien zu tragen hat – aber dieses Thema ist einfach nicht sexy): Die Lust von Luis Suarez auf einen Happen italienische Schulter. Ganz ohne Medienbeteiligung klärten wenige Tage nach dem Vorfall und der durch die FIFA ausgesprochenen Sperre die beteiligten Spieler die Sache selbst:

 

Und das Fräulein vom Amt sitzt mit ihren Verbindungssteckern nutzlos daneben und erinnert sich an jene goldene Zeiten, in denen die Beilegung ähnlicher Skandale einzig und allein über sie transportiert wurde. Man erinnere sich nur an das gemeinsame Frühstück von Völler und Rijkaard, mit dem die „Spuck-Affäre“ aus dem WM-Achtelfinale 1990 beigelegt wurde. Zwar organisiert von einem Butterhersteller (mit dem schönen Slogan: „Mit echter Butter bekommen Sie jeden an die gemeinsame Tafel“), transportiert aber einzig und allein über die Medien. (Ja richtig, zum Teil nicht im redaktionellen Teil sondern als Anzeigenschaltung. Aber warum sollte ich da unterscheiden, wenn diese Trennung den Medien heutzutage oft doch auch ganz egal ist.)

Es sieht schon nicht so gut aus für jene Medien, die es als ihre Aufgabe sehen, Skandale zu kreieren, zu begleiten und exklusiv aufzulösen. Und es wird noch schlimmer. Ich präsentierte Eskalationsstufe 2: Das Dementi bevor der Aufreger überhaupt zum Aufreger wurde. Proudly öffentlichkeitswirksam presented by social networks:

 

Halten wir fest: Durch soziale Netzwerke haben die Medien jenen Teil ihrer Gatekeeper-Funktion nicht mehr exklusiv, der sich auf die Erreichbarkeit der Öffentlichkeit bezieht. Soziale Netzwerke verleihen potenziell Jedem eine lautstarke Stimme – Prominenten noch wesentlich mehr als Bürgern ohne eigene Autogrammkarte. Die konkrete Folge im Bereich der Sportberichterstattung ist, dass sich kleinere und größere Aufreger oft schneller und ohne Einwirken der Medien relativieren. Es ist noch schwieriger, Themen „am Köcheln“ zu halten und damit tagelang die (Web-)Seiten zu füllen.

Wenn ich die Medien allerdings mit dem Berufsstand der Telefonistin vergleiche, ist das etwas reißerisch. Denn anders als Telefonistinnen heute nicht mehr gebraucht werden, sind Medien durch soziale Netzwerke nicht ersetzbar geworden. Sie wurden einer ihrer Funktionen beraubt, nicht aber ihrer Aufgabe. Sie lautet: relevante Informationen recherchieren, aggregieren und verständlich vermitteln. Machen wir nicht das große Fass auf und bleiben wir im Mikrokosmos Sportjournalismus: Auch hier gibt es nicht nur die Seite-3-Reportagen und Webspecials im „Snowfall“-Design, sondern auch viele kleine Geschichten, die für eine breite Masse interessant und auch unterwegs konsumierbar sind. Anekdoten, Hintergründiges, gut gemachte Portraits, meinungsstarke Analysen, etc. Gerade im Sport gibt es dem Leser/Zuhörer/Zuschauer viel zu erzählen, das neu und interessant für ihn ist.

Was mit Journalismus aber wenig zu tun hat, ist lieblos das aufzubereiten, was der Medienkonsument bereits weiß, wenn er sich dafür interessiert. Die Bildergalerie „So machen unsere WM-Stars Urlaub“ mit einem Best-Of der Social Media-Postings der Spieler mag heute noch leidlich funktionieren. Sie hat aber ebenso wenig mit Journalismus zu tun wie sie eine Zukunft hat. Letzteres ist eine gute Nachricht, wie ich finde. Denn man kann es auch so sehen: Gerade weil die Medien oft nicht mehr gebraucht werden, um für ein Thema Öffentlichkeit zu erzeugen, können sie sich umso besser auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren und gute Inhalte mit Mehrwert produzieren. Für diese Inhalte gibt es immer einen Markt.

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